Stellungnahme zur Bayreuther Erklärung

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Zu kurz gesprungen, Universitätskanzler!

Von: claudia [dot] dobrinski [at] thesis [dot] de (Claudia Dobrinski), anja [dot] hagedorn [at] thesis [dot] de (Anja Hagedorn), rene [dot] krempkow [at] thesis [dot] de (René Krempkow), frank [dot] dietz [at] thesis [dot] de (Frank Dietz)

Wir als bundesweit tätige, unabhängige Interessenvertretung der Promovierenden und Promovierten begrüßen die jüngste Äußerung der Bundessprecher der Vereinigung der Kanzlerinnen und Kanzler der Universitäten Deutschlands, auch bekannt als Bayreuther Erklärung, da sie im Diskurs um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Wissenschaftlern eine eindeutige Positionierung darstellt. Allerdings können wir den im zweiseitigen Papier geteilten Ansichten nicht zustimmen. Denn sie zeigen, dass die Kanzlerinnen und Kanzler ihre Aufgabe einseitig interpretieren. Zwar ist eine nachhaltige Finanzierung der Hochschulen unstrittig notwendig, und die Ausbildung von wissenschaftlichem Personal eine der wichtigen Säulen der Aufgaben der Universitäten. Aber letzteres greift unserer Meinung nach eindeutig zu kurz: Der Auftrag der deutschen Universitäten ist es nicht nur, wissenschaftliches Personal auszubilden. Mit ihrer Position beziehen die Kanzler*innen einen Standpunkt, der eigene, universitäre Wettbewerbsposition schmälert. Augenscheinlich wird hier einer Kommerzialisierung des universitären Ausbildungsablaufs, reduziert auf In- und Output der Studierenden und dann Graduierten, der Vorrang eingeräumt.

Vielmehr haben die Universitäten in Deutschland ein Aufgabenpaket: Lehre, Forschung und Ausbildung, d.h. zu wissenschaftlichen Entwicklungen beizutragen und den Erkenntnisgewinn in den jeweiligen Fachrichtungen voranzutreiben, und – last but not least – eine qualitativ hochwertige Hochschullehre sicherzustellen. Um diesem Aufgabenpaket auch in Zukunft gerecht zu werden besteht ein wachsender Bedarf an gut ausgebildetem, wissenschaftlichem Personal in den universitären und außeruniversitären Einrichtungen. Dabei gilt es, idealerweise die für die Wissenschaft Geeignetsten (bzw. in den Worten des Wissenschaftsrates „die besten Köpfe“) zu halten – und nicht vor allem diejenigen, die es sich leisten können, im internationalen Vergleich extrem lange Phasen der Unsicherheit und Unberechenbarkeit bis in das 40. bzw. 50. Lebensjahrzehnt hinein „durchzustehen“. Dies ist in den letzten Jahren oft nur bei entsprechender finanzieller Lage bzw. familiärer/sozialer Herkunft möglich, wie jüngste Studien zur Rolle von sozialem und wissenschaftlichem Kapital für den Berufungserfolg aufzeigen (vgl. Zimmer 2018 [1]). – Dabei ist der Zugang zur Professur nach den vorliegenden über mehrere Jahrzehnte vergleichbaren Ergebnissen so sozial selektiv wie noch nie in den letzten 50 Jahren (vgl. Möller 2018 [2])! Um eine stärkere Leistungs- statt sozialer Selektion zu ermöglichen, sind – worauf von verschiedenen Seiten bereits vielfach hingewiesen wurde – attraktive Beschäftigungsbedingungen und berechenbare Karriereperspektiven zu einem deutlich früheren Zeitpunkt als bisher nötig (vgl. für einen Überblick z.B. Krempkow 2019 [3]). Somit geht der Auftrag der Universitäten über das selbst gesetzte Ziel der Ausbildung von Wissenschaftlern hinaus und die Universitätskanzler*innen sind mit ihrer Bayreuther Erklärung deutlich zu kurz gesprungen.

Wir fordern daher die Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen, insbesondere für Postdocs auch in Form von Entfristungen. Dieses könnte (flankierend) beispielsweise in Form einer größeren Anzahl neu geschaffener Professuren erfolgen, wie sie die Junge Akademie in ihrem Departmentmodell fordert. Wir sind der Überzeugung, dass auch in Deutschland eine Erhöhung der Quote unbefristeter Beschäftigungsverhältnisse auf bis zu etwa 40 Prozent für promovierte Wissenschaftler*innen neben der Professur (wie auch in anderen europäischen Ländern wie z.B. Norwegen oder die Niederlande (vgl. Krempkow u.a. 2016 [4]) keineswegs nachteilig für die Produktivität und Qualität des deutschen Wissenschaftssystems wäre. Vielmehr wäre es, weitergedacht, für die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit insbesondere auf dieser Karrierestufe sogar ein großer Vorteil. Darüber hinaus halten wir eine allgemeine Stärkung des akademischen Mittelbaus für erforderlich, um den zahlreichen gewachsenen Aufgaben qualitativ und quantitativ gerecht zu werden: Es besteht dringender Bedarf an einer institutionellen Ausmodellierung einer Karrierelaufbahn auf „horizontaler Wissenschaftsebene“, was sich u.a. in den Stellenbeschreibungen für Wissenschaftsmanagement, Kollegkoordination und im Bereich Internationalisierung wiederspiegelt. Hier spielt auch das Thema planbare Karrierewege und eine Verbesserung der Qualifizierungsbedingungen der Praedocs mit hinein. Wir werden uns als politisch unabhängige Interessenvertretung auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene weiterhin für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen an den Hochschulen einsetzen und im Auftrag unserer Mitglieder dazu beitragen, dass dadurch die Wissenschaft in Deutschland wettbewerbsfähig bleibt.

[1] Zimmer, L. M. (2018): Das Kapital der Juniorprofessur. Einflussfaktoren bei der Berufung von der Junior- auf die Lebenszeitprofessur. Wiesbaden: Springer VS (Volltext in: https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-22726-5).

[2] Möller, C. (2018): Prekäre Wissenschaftskarrieren und die Illusion der Chancengleichheit. In: Laufenberg, M./Erlemann, M./Norkus,M./Petschick, G. (Hrsg.): Prekäre Gleichstellung, Geschlechtergerechtigkeit, soziale Ungleichheit und unsichere Arbeitsverhältnisse in der Wissenschaft. Wiesbaden: Springer VS (Volltext in: http://www.researchgate.net/publication/323754660).

[3] Krempkow, R. (2019): Wieviel zählt Leistung bei Berufungen, und wieviel Herkunft? In: Qualität in der Wissenschaft (QiW) 1/2019, S. 28-31. (Volltext in: www.researchgate.net/publication/333163357).

[4] Krempkow, R./ Sembritzki, T./ Schürmann, R./ Winde, M. (2016): Personalentwicklung für den wissenschaftlichen Nachwuchs 2016. Bedarf, Angebote und Perspektiven – eine empirische Bestandsaufnahme im Zeitvergleich. Berlin: Stifterverband (Hrsg.) (Volltext in: www.researchgate.net/publication/303946305).