Vortrag: Zwischen Emanzipation, Reaktion und Resignation

Jüdische Stadtbevölkerung und kommunale Selbstverwaltungung im ausgehenden Zarenreich - eine verpasste Chance?

Liebe Thesianer, liebe Neugierige,
das nächste Treffen der Lüneburger Gruppe findet am Mittwoch, den 25. November um 19.30 Uhr in Raum 12.15 auf dem Campus Scharnhorststraße statt.
Diesmal hören wir einen Vortrag von Cajetan Baumann zum Thema:
Zwischen Emanzipation, Reaktion und Resignation Jüdische Stadtbevölkerung und kommunale Selbstverwaltung im ausgehenden Zarenreich - eine verpasste Chance?
Als Osteuropahistoriker habe ich mich mit einem Aspekt der russisch-jüdischen Geschichte befasst, der Beteiligung der jüdischen Stadtbevölkerung an der städtischen Selbstverwaltung im vorrevolutionären Russland (also im Zarenreich). Schwerpunkt ist der Zeitraum zwischen 1870 und 1914 - die Eckdaten sind die Einführung der kommunalen Selbstverwaltung und der Beginn des Ersten Weltkriegs. Ausgehend von den gesetzlichen Rahmenbedingungen untersuche ich dabei die Praxis in den Städten des sogenannten Ansiedlungsrayons, in dem Juden ohne Sonderregelungen ihr Siedlungsgebiet hatten (dieses Gebiet entspricht etwa der heutigen Ukraine, Weißrusslands, Litauens und einem Teil Lettlands). Die Relevanz der Fragestellung ergibt sich unter den Bedingungen der auch im Russischen Reich in dieser Zeit beginnenden Moderne u.a. aus rein quantitativen Aspekten, d.h. dem Anteil der jüdischen an der Gesamtstadtbevölkerung (bekannte Beispiele sind z.B. Odessa und Wilna (Vilnius), das 'Jerusalem des Ostens'). Als Quellen dienten mir Stadtratsprotokolle (aus Wilna) sowie Eingaben an die zuständigen Abteilungen des Innen-, Finanz- und Justizministeriums sowie die daraus sich ergebenden Vorgänge. Auch Fragen der (Sonder-)Besteuerung der jüdischen Bevölkerung spielen dabei eine Rolle. Den Hintergrund meiner Untersuchung bildet dabei die Frage, ob und inwieweit auch auf diesem Gebiet eine Chance verpasst wurde, durch Gewährung politischer Mitbestimmungsrechte ein Bewusstsein für die Verantwortung für das Funktionieren einer Kommune zu schaffen. Die Abwendung großer Teile der (politisch interessierten und engagierten) jüdischen Bevölkerung vom Zareneich in Form von Emigration oder Radikalisierung hätte durch größere Mitspracherechte auf kommunaler Ebene vielleicht abgeschwächt werden können. Noch deutlicher als auf anderen Gebieten gilt auch für die Reform der städtischen Selbstverwaltung im vorrevolutionären Russland und der Beteiligung der jüdischen Stadtbevölkerung: Es kam "zu wenig", "zu spät", um breitere Unterstützung für die Regierungspolitik zu gewinnen und Russland einen anderen Weg in die Moderne zu ermöglichen.
Meldet euch, falls Ihr eine Wegbeschreibung braucht (Seewald (at) uni.leuphana.de),
ansonsten sehen wir uns am 25.
Beste Grüße
Nadine Sander & Stefanie Seewald

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